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Agile Work needs Inner Work

Iris Rommel | Teamentwicklung

Viel Energie ist in den klassischen Organisationen in die Auseinandersetzung über Führung geflossen.

Nicht nur von den Personalexpert*innen, die die Aufgabe hatten, das Design dieser Rolle und ihrer Aufgaben permanent weiterzuentwickeln und die Rollenträger*innen so gut wie möglich auf ihre Führungsaufgabe vorzubereiten.
Auch in den Teams und im Arbeitsleben der Mitarbeiter*innen war die Beziehung zur Führungskraft hoch bedeutsam. Viele Gespräche in den Kaffeeküchen drehten sich um die Rollenträger*innen. Ihre Neurosen wurden in der Managementliteratur thematisiert, ihre Geeignetheit in Assessment-Centern vermessen und bewertet.
Diese im Nachhinein schon etwas obsessiv wirkende Fixierung auf den Versuch, durchschnittliche Menschen zu Held*innen „aufzutrainieren“, klingt jetzt im Zeitalter der post-heroischen Führung etwas ab.

Zurzeit wird in Führungsseminaren zwar noch das Loslassen, das Teamcoaching und die neue Bescheidenheit trainiert, aber die Führungsrolle wird deutlich blasser in den modernen Organisationen, die sich an Kreismodellen und eigenverantwortlichem Arbeiten für Mitarbeiter*innen orientieren.
Stattdessen taucht die Teamgruppendynamik als großes neues Lernfeld auf. Und darin die Frage, wie teamfähig Kolleg*innen eigentlich sein müssen in diesen modernen Organisationen?

Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal Lalouxs „Reinventing Organizations“ gelesen hatte, war mir bei den Fallbeispielen aus der Praxis aufgefallen, mit welcher Intensität diese Unternehmen die Möglichkeiten zur persönlichen Reifung der Mitarbeiter*innen schaffen.
Ich kannte diese Form kontinuierlicher Selbstreflexion im Beruf bisher ausschließlich aus dem sozialen Bereich, wo Balint-Gruppen und Fall- und Teamsupervisionen – jedenfalls bei sozialen Trägern mit Anspruch – zur professionellen Ausübung des Berufs dazugehören.

Genau solche Formate hatten auch diese „neuen“ Profit-Unternehmen – nennen wir sie agil, New Work-inspiriert oder what ever – eingerichtet.
Warum?

Nach vier Jahren Transitionsbegleitung von Kundenorganisationen habe ich den Sinn dieser bemerkenswerten Investition besser verstanden.
All die Experimente rund um eigenverantwortliches Arbeiten, um Kreisorganisationen, um Empowerment von Teams brauchen reife Mitarbeitende, die sich und ihre Bedürfnisse kennen. Die ihre Bedürfnisse artikulieren und steuern können, also ihren Emotionen nicht einfach ausgeliefert sind.
Nicht alle Menschen bringen diesen Grad an Selbst-Bewusstheit als Asset mit in den Beruf.

Klar wird in Bewerbungsgesprächen inzwischen immer schon die „Teamfähigkeit“ abgefragt – aber welche Erfahrungen bringen die neuen Kolleg*innen zum Beispiel biographisch mit? Was haben sie in Familie, Schule, Vereinen über ihre Rolle in Gruppen erfahren? Was, wenn der Abstand zu den Kolleg*innen nicht mehr über eine dazwischengeschaltete Führungskraft geregelt wird – wenn es also sehr eng wird zwischen Kolleg*innen?

Selbstorganisation im Team, gemeinsam Entscheidungen treffen, sich auch schwieriges Feedback auf kollegialer Ebene zu geben – all diese Elemente von Kreisorganisationen katapultieren uns zurück in unsere früheren Lebenserfahrungen mit Gruppen und Geschwistern.
Jetzt steht nicht mehr die Frage „Wie halte ich es biographisch mit Autoritäten und Elternfiguren?“ im Vordergrund. Sondern jetzt ist es die Frage „Wie habe ich in meiner Familie meine Zugehörigkeit erlebt?“, die wahrscheinlich meine Rolle im Team mitprägt.

Es sind nicht nur angenehme Erinnerungen, sondern es können auch schwierige Emotionen aus Vorerfahrungen mit Gruppen und in der Familie sein, die Menschen in die Teams mitbringen. Werde ich in einer Gruppe gesehen, berücksichtigen andere meine Interessen? Bin ich beliebt? Gruppendynamik lässt grüßen…

Zu schnell passiert es, dass die New Work-Philosophie ein neues, ideales Menschenbild überstülpt.
Nämlich das der kommunikativen, beziehungsorientierten Mitarbeiter*in. Ich habe inzwischen gelernt, genauer zuzuhören, wie Menschen im Beruf das Thema: Nähe-Distanz und Offenheit im Kolleg*innen-Kreis leben wollen.

Vielleicht kennen Sie das Riemannsche Modell? Dieses Modell spannt zwischen verschiedenen Persönlichkeitstypologien die Polarität Nähe-Distanz auf.

Für Distanz-Typen kann der hohe Kommunikations- und Abstimmungsaufwand in modernen Teamkreisen anstrengend sein und persönlich als wenig befriedigend und sogar bedrohlich erlebt werden. (So waren es zum Beispiel in Covid-Homeoffice-Zeiten die Distanz-Typen unter den Kolleg*innen, die sich oft als Gewinner*innen der Krise bezeichneten, mit der Begründung, dass die Pandemie ihnen die Überdosis soziale Interaktion erspart, die inzwischen von ihnen im Job erwartet wird.)

Und auch die Anforderung des kollegialen Feedbacks zeigt sich bei Retros doch als echte persönliche Herausforderung für viele.
Heiße Eisen in der Zusammenarbeit eigenverantwortlich und direkt anzupacken, anstatt sich im Mitarbeitergespräch über Dritte zu beschweren, löst bei vielen Menschen innere Spannungen aus.
Wir unterrichten weiterhin die Kunst, konstruktives, kollegiales Feedback zu geben, aber inzwischen gehen wir diese Verhaltensveränderungen viel vorsichtiger an: „Wo möchte ich mich anderen öffnen, wo nicht?"

Für Selbstschutz und Verschiedenheit der Persönlichkeiten muss Platz sein in Kreisorganisationen, nicht alles muss ausgesprochen und ans Licht gezerrt werden. Vertrauen wächst durch kontinuierlich gute Erfahrungen mit Verhaltensänderungen. Die Schritte dürfen klein sein.
Nicht das Aussprechen von Feedback ist die größte Hürde, sondern das Annehmen, das Verarbeiten des Feedbacks. Vergessen wir nicht: Sprache ist mächtig – und ausgesprochene Worte können verletzen und greifen ein in die unsichtbare soziale Interaktion, die für friedliches Zusammenleben ebenfalls wichtig und nützlich ist: unsere Anpassungsfähigkeit, unsere Fähigkeit, sich zurückzunehmen, das Übersehen, das Überhören, das Verzeihen, den Rückzug und das Atemholen im Kontakt.
Zu schnell werden diese Tugenden nur als harmoniesüchtige Konfliktvermeidung in der Idealwelt der Neuen Mitarbeiter*innen abgewertet.

Es gehört also viel mehr dazu, als Organisation „hineinzureifen“ in die qualitativen Utopien von New Work. Ich teile weiterhin die Utopie des Prinzips der Augenhöhe im Betrieb – aber ich habe Respekt gewonnen, was die kulturelle Transformation dahin an Geduld und Differenziertheit brauchen. Und was wir da von den Einzelnen verlangen und erwarten.

Wer also Teamfähigkeit kultivieren möchte im Unternehmen, muss Menschen kontinuierlich Möglichkeiten anbieten, die inneren Spannungen und Verwicklungen, in die wir alle immer wieder in der beruflichen Zusammenarbeit hineingeraten, in einem geschützten Raum zu überprüfen. Mit dem Ziel, daran persönlich zu wachsen.
Hilfreiche Weiterbildungsangebote sind Konflikttrainings, die den Schwerpunkt auf die Fähigkeit zur Selbsterkundung legen. Wovon fühle ich mich angegriffen, was produziert Spannung in mir?

Bei synthese entwickeln wir zurzeit neue Trainings- und Coaching-Formate für dieses „Inner Work“. Wir gehen davon aus, dass vertrauensvolle, belastbare Beziehungen die Basis für gelungene agile Transformationen in Teams und Organisationen sind. Und dafür müssen wir etwas tun, um besser zu verstehen, was wir wagen sollten, um uns zu besseren Team-Kolleg*innen zu entwickeln. Lassen Sie uns darüber im Gespräch bleiben. Wir sind neugierig auf Eure und Ihre Erfahrungen mit Nähe und Distanz in modernen Organisationen.

Foto Iris Rommel, synthese
Ihre Iris Rommel
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Literatur zum Thema

Foto Buch NewWork needs InnerWorkNew Work needs Inner Work - Ein Handbuch für Unternehmen auf dem Weg zur Selbstorganisation von Joana Breidenbach und Bettina Rollow

Ein erfolgreiches Change-Tandem, Bettina Rollow (Beraterin) und Joana Breidenbach (Gründerin der Spendenplattform betterplace.org) öffnen die Tür zu ihrer Transitionswerkstatt. In entspannter Art und Weise bringen sie die häufigsten Missverständnisse rund um New Work-Changeprozesse auf den Punkt und teilen ihre Praxiserfahrungen, wie das Hineinreifen in eigenverantwortliche Teamarbeit in zwei Unternehmungen, die sie begleitet haben, gelungen ist. Und sie ordnen sehr präzise die Grenzen ein, wenn bestimmte Voraussetzungen im Außen der Strukturen und im Innen der Personen für Selbstorganisation nicht gegeben sind.

Ermutigend ist ihr Fazit, dass Teile von eigenverantwortlichem Arbeiten in allen Organisationen kultiviert werden können – egal ob in klassischen Strukturen oder Kreisorganisationen. Vorausgesetzt, Teams sind bereit, sich, ihr Handeln und ihre Emotionen zu reflektieren.

Mehr Informationen zum Buch und den Autorinnen hier


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