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Das Mitarbeitergespräch 4.0

Rena Brakenhoff | Leadership Development

DAS MITARBEITERGESPRÄCH AUF DEM PRÜFSTAND – DIE WEITERENTWICKLUNG EINES BEWÄHRTEN FÜHRUNGSINSTRUMENTES

Status quo

Bereits vor einigen Jahren haben wir uns mit dem jährlichen Beurteilungsgespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter beschäftigt und unser Credo lautete:
Das Mitarbeiterjahresgespräch ist ein wertvolles und wichtiges Führungsinstrument

Es verfolgt mehrere Ziele mit einer Führungsaktivität:

  • eine (mehr oder weniger) standardisierte jährliche Leistungsbewertung,
  • systematische Personalentwicklung,
  • und, je nach Aufgabe und Funktion des Mitarbeiters, die Vereinbarung von Zielen.

Mitarbeiter und Führungskraft haben einen regelmäßigen Anlass, fokussiert nur über den Mitarbeiter und seine Aufgaben, Performance, Motivation und Weiterentwicklungswege zu sprechen.

Viele unserer Kunden sind wie wir überzeugt, dass dieses regelmäßige Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeiter zu einem guten Miteinander in Arbeitsbeziehungen gehört.

Aber es macht sich auch Unbehagen breit:

  • Die systematischen Tools zur Leistungsmessung mit Skalen und Punktwerten werden als zeitraubend, behäbig und für den Gesprächsfluss hinderlich empfunden.
  • Der Anspruch, das Gespräch wertschätzend und offen zu führen, um über die Motive und Entwicklungsbedürfnisse des Mitarbeiters mehr zu erfahren, passt nicht mit einem Gesprächsklima zusammen, das durch Leistungsmessung mit damit verbundenen Boni entsteht.
  • Wie gut eine Führungskraft das Mitarbeiterjahresgespräch gestaltet, hängt offenbar in großem Maße davon ab, wie ernsthaft und in welcher Qualität das Jahresgespräch mit der eigenen Führungskraft verläuft.

Die Zukunft kommt – wie könnte sich das Mitarbeitergespräch weiterentwickeln?

Wir haben derzeit die Chance, ein mittelständisches Unternehmen dabei zu unterstützen, das Führungsinstrument „Mitarbeiterjahresgespräch“ zukunftsfähig zu machen. Auch hier gibt es ein paar der genannten Bauchschmerzen im Umgang mit dem bisherigen System und den Anspruch, dass die Weiterentwicklung des Tools den derzeitigen Entwicklungen der Arbeitswelt 4.0 Rechnung trägt.

Unser Kunde befindet sich in guter Gesellschaft: auch eine Reihe von Dax-Unternehmen orientiert sich bei der Mitarbeiterbeurteilung bereits um.

Folgende Ansätze leiten uns bei der Erneuerung des Instrumentes:

Agilität und Generationseffekte als Treiber für Entwicklungen

Die Wirtschaft befindet sich, getrieben und unterstützt von der digitalen Vernetzung, in einem großen Umbauprozess – weg von der Massenproduktion hin zu maßgeschneiderten Kundenlösungen.

Unternehmen müssen sich in hohem Tempo agil mit vielen Veränderungen am Markt auseinandersetzen. Die internen Strukturen und Prozesse ebenso wie die Weiterbildung der Mitarbeiter müssen laufend an diese Tempoerhöhung und der steigenden Komplexität anpasst werden. Führungskräfte und Mitarbeiter sind immer stärker gefordert, flexibel auf ständig sich verändernde Situationen im Unternehmen zu reagieren und sich mit zu entwickeln.

„Smartes Arbeiten im Unternehmen erfordert Einsatz von allen.“ (New work blog)
Die Zusammenarbeit in wechselnden Projekten und Teams jenseits von starren Strukturen fordert nicht nur Teamfähigkeit und Problemlösungskompetenz von allen, sondern es rückt vor allem die Selbststeuerungskompetenz in den Mittelpunkt.

In der Mitarbeiterschaft steigt der Anteil der jüngeren Generationen, die andere Ansprüche an den Sinn ihrer Arbeit, an die Art des Geführt-Werdens und an die Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten mitbringen:

  • viel Unterstützung und Feedback durch die Führungskraft und
  • abwechslungsreiche und herausfordernde Aufgaben und viel Weiterbildung sind gewünscht,
  • größere Handlungsspielräume und eine Vertrauenskultur macht für diese Generation einen Arbeitgeber attraktiv.

Diese Ansprüche sind gepaart mit einer größeren Bereitschaft, den Arbeitgeber zu wechseln, wenn die Wünsche nicht erfüllt werden. Und der „war of talents“ macht sie unabhängig: Viele Unternehmen ringen um wenige Potenzialträger!

Ein neues Führungsverständnis ist gefragt

„Führen heißt eine Welt gestalten, der andere Menschen gerne angehören wollen.“ Daniel F. Pinnow

Führungskräfte erleben durch diese Entwicklungen neue Herausforderungen:

  • Sie werden noch stärker gefordert, echte Kommunikation auf Augenhöhe mit ihren Mitarbeitern zu bieten.
  • Immer mehr Mitarbeiter wollen häufiger und situativeres Feedback.

Ein immer höherer Anteil an Mitarbeitern stellt seine Leistungsbereitschaft dann zur Verfügung, wenn die individuellen Sinn- und Entwicklungsbedürfnisse ausreichend erfüllt werden.

Dies bedeutet für Führungskräfte noch mehr Sensibilität für die Sinn- und Entwicklungsbedürfnisse und Potenziale der Mitarbeiter und die Fähigkeit, diese im Gespräch gemeinsam herauszuarbeiten.

  • Nicht nur Fähigkeiten und Skills, sondern die ganze Persönlichkeit des Mitarbeiters muss im Fokus der Führungsbeziehung und der Personalentwicklung stehen. Das wichtigste Ziel hierbei ist es, die Selbststeuerungsfähigkeit der Mitarbeiter ständig weiter zu entwickeln.
  • Die Beziehung zwischen Mitarbeiter und Vorgesetztem ist noch stärker als bisher auf Vertrauen angewiesen: schnelle Reaktionsfähigkeit, Selbstständigkeit und flexibles Handeln des Mitarbeiters funktionieren nur zusammen mit entsprechendem Handlungsspielraum.

Nur wenn ein intaktes Vertrauensverhältnis besteht, ist Selbstorganisation und Selbstverantwortung möglich!

Es gibt nichts Gutes – außer man tut es

Wir glauben, dass das vertrauensvolle fokussierte Gespräch über Performance, Potenziale und Entwicklung des Mitarbeiters weiterhin in die Führungsbeziehung mit einer direkten Führungskraft gehört. Es gibt der Führungskraft die Chance, auch in schnellen, unübersichtlichen Zeiten seine Mitarbeiter nicht aus dem Blick zu verlieren.

Und wir glauben, dass sowohl das agilere Unternehmen als auch der heutige Mitarbeiter mehr als ein Jahresgespräch für Feedback und Entwicklungsplanung brauchen und empfehlen schlanke, häufigere, kürzere Gespräche mit den Einzelnen und den Teams.

Wir stellen uns vor, dass Führungskraft und Mitarbeiter angemessene individuelle Rhythmen und Kommunikationsformate finden, um über Potenziale und Bedürfnisse im Gespräch zu bleiben.

Das Kriterium für die Qualität des Formates ist die Zufriedenheit beider damit!

Wenn ein Unternehmen eine Leistungsbeurteilung der Mitarbeiter vornimmt, dann bedarf dies auch klarer Leistungskriterien. Diese sollten so einfach wie möglich gehalten sein, so dass sie

  • das Gespräch über die Qualität der Leistungen in Gang bringen und nicht formalistisch dominieren oder bremsen.
  • den Blick der Beteiligten auf die zukünftigen Anforderungen an den Mitarbeiter richten und nicht rückwärts gerichtet ist.
  • den Fokus darauf richten, wie engagiert und eigenaktiv der Mitarbeiter sich persönlich weiterentwickelt und damit gleichzeitig auf die Mission und den Erfolg des Unternehmens einzahlt.

Wohin kann die Reise gehen?
Hier einige alternative, bereits gelebte Beispiele aus innovativen Unternehmen, die uns inspiriert haben:

Das „Beziehungstagebuch“

Kommt ein neuer Mitarbeiter ins Team, wird für ihn und seine Führungskraft ein elektronischer Raum freigeschaltet, der nur für die beiden einsehbar ist. Alle Gespräche, die sich um die Leistung und Entwicklung und das Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeiter und Führungskraft drehen, werden von den beiden hier kontinuierlich und gemeinsam dokumentiert, als „Tagebucheinträge“. So entsteht eine gemeinsam geschriebene Fortsetzungs-Geschichte, die von der Entwicklung des Mitarbeiters und der Entwicklung der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter handelt. Gute Zeiten, schlechte Zeiten, Konflikte, alles hat Platz und bleibt vertraulich zwischen den beiden im elektronischen Tagebuch. (Beispiel aus der Firma Lanxess)

Geld!

Es zeichnet sich ein deutlicher Trend ab: innovative Unternehmen verzichten ganz auf Performance Management Prozedere mit aufwändigen Mathematikübungen, die eine scheinbare Objektivität beim Messen von Leistungsunterschieden und eine scheinbare Gerechtigkeit beim Verteilen der davon abgeleiteten Boni suggerieren. Stattdessen werden die direkten Führungskräfte mit der Befugnis ausgestattet, ein Budget für das Würdigen von Leistungsunterschieden so einzusetzen, wie sie es selbst für richtig halten.

(Wie früher, vor der Einführung der Hay-Systeme, werden hier manche schmunzelnd denken).

Die Führungskraft als Coach und das Coaching der Führungskraft

Die Rolle der Führungskraft ändert sich in der Arbeitswelt 4.0 grundlegend. Die wichtigste Aufgabe einer Führungskraft wird die Entwicklung der Mitarbeiter und die Entwicklung von Teams sein – eng verknüpft mit den wechselnden Anforderungen aus der Unternehmensstrategie.

Die neuen Leadership Development Programme fokussieren sich deswegen darauf, Führungskräfte zu befähigen, stärkenorientiertes Feedback zu geben und potenzialorientierte Entwicklungen zu begleiten.

Das machen sie nicht nebenher, wenn dafür mal etwas Zeit ist oder einmal im Jahr, wenn die Personalabteilungen den Managern die Pistole auf die Brust setzt. Sondern für diese Aufgabe haben sie Zeit und werden darin ihrerseits unterstützt. Aber wer organisiert dann die Organisation? Und wer entwickelt die strategischen Projekte? Das machen kompetente und „empowerte“ Mitarbeiter, die in Teams selbstorganisiert strategische Themen vorantreiben und organisatorische Fragen gemeinsam lösen. Die Personalabteilung wird also nicht überflüssig, sondern coacht ihrerseits die Führungskräfte, gute Coaches zu sein.

Kontrolle und schwarze Schafe

Zu idealistisch? Nein, denn weiterhin werden in diesen Unternehmen Daten erhoben, aus denen Musterabweichungen identifiziert werden können.

Low-Performer in der Mitarbeiterrolle werden zum Beispiel ganz einfach dadurch sichtbar, dass sie längere Zeit in Folge von ihrer Führungskraft keine Leistungsprämien erhalten.

Low-Performer in der Führungsrolle werden durch Feedbacktools „Wie zufrieden ist das Team mit der Führungskraft“ identifiziert. Ein Unternehmen, das sich einer entwicklungsorientierten Unternehmenskultur verschrieben hat, wird diese „schwarzen Schafe“ unterstützen, wenn sie sich verändern und entwickeln wollen – und sich von ihnen trennen, wenn sie sich dagegen entscheiden.

Unternehmenskultur: Vertrauen und Freiräume

Was uns bei unserer Recherche aufgefallen war, ist, dass alle Unternehmen, die ihre Mitarbeitergespräche sehr radikal verändern, diesen Schritt in eine grundsätzliche Veränderungsarbeit an der Führungs- und Unternehmenskultur einbinden. Ein isoliertes Reformieren des Führungsinstrumentes „Mitarbeitergespräch“ haben wir nirgends entdeckt.

Das macht Sinn. Nur Unternehmen, die sich für eine Haltung entscheiden, sowohl ihren Führungskräften, als auch ihren Mitarbeitern grundsätzlich zu vertrauen und ihnen viel zutrauen, werden auf das Vermessen und Vergleichen von Mitarbeitern verzichten wollen und können.

Und nur die Unternehmen, die erkennen, dass Selbstorganisation und Empowerment eingeübt, trainiert und systematisch entwickelt werden müssen und dieser Prozess bei allen Beteiligten Zeit und Unterstützung braucht , sind erfolgreich damit. Wer Vertrauen, Freiräume und Selbstorganisation mit Laissez-Faire zum Discountpreis verwechselt, hat die Aufgabe, für die Arbeitswelt 4.0 passende Führungsprozesse und passende Führungskräfte zu entwickeln, noch nicht verstanden.

Hier noch ein sehr interessantes Beispiel, wie sich das Mitarbeitergespräch radikal wandeln könnte:
Agile HR-Praktiken – Peer Review statt Mitarbeitergespräch von transferio

Mehr Wissen über agile Organisationsformen finden sie auch in unserem Newsletter Auf der Suche nach der agilen Organisation


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