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Lasst die Unternehmen frei

Iris Rommel | Agile Organisation

Faeden als Netz verknotet. Netzwerkorganisation eine Alternative.

WELCHE POTENZIALE IN DEZENTRALEN ORGANISATIONSMODELLEN STECKEN

Es geht eine große Nachdenklichkeit um unter den Management-Vordenkern.
Alarm wird geschlagen über bedenkliche Zustände in den Unternehmen: von organisationaler Erschöpfung ist die Rede (Wimmer), Transitionskosten und Selbst-Beschäftigung statt Produktivität werden angeprangert (Sprenger „Radikal führen“). Die innere Distanz von immer mehr MitarbeiterInnen zu ihrem Unternehmen wächst. Es gelingt den Unternehmen nicht mehr, das intrinsische Commitment der Mitarbeiter zu bekommen.

Irgendwas scheint in vielen Unternehmen und Organisationen ziemlich faul zu sein. Und allmählich formiert sich aus den einzelnen Stimmen ein Plädoyer im Chor: Organisationen und ihre organisationalen Routinen hinterfragen, entrümpeln, einfacher machen!
Und die Gestaltung von Erwerbsarbeit wieder an den Bedürfnissen der Menschen ausrichten!

Eine Weile hat die Verarbeitung der Finanzkrise 2008 das Problem überdeckt. Alle EntscheiderInnen und die Beraterzunft waren mit Fragen des Krisenmanagements und der Nicht-Mehr-Prognostizierbarkeit von Zukunft beschäftigt. Inzwischen hat sich – bei aller Unsicherheit – das Wirtschaftsleben in Deutschland als überraschend stabil gezeigt und das schon vorher dagewesene Leiden der Organisationen an sich selbst wird wieder sichtbar.

Die Wasserstandsmeldungen der aktuellen Managementliteratur decken sich in vielen Fällen mit unseren eigenen Erfahrungen in der Organisationsberatung.

Interne Bürokratien, die aus den Unternehmenszentralen heraus immer weiter verfeinert werden, erschöpfen die Menschen. Kleinteilige Planungsprozesse mit aufwändigen Dokumentationen, Lenkungsgruppen und mächtige Change-Architekturen, Matrix-Organisationen und ihre Reibungsverluste frustrieren ergebnisorientierte Dynamiker. Und genauso wollen wir die modernen MitarbeiterInnen eigentlich doch haben: unternehmerisch, ungeduldig, innovativ, identifiziert mit dem Kerngeschäft am Kunden!
Was tun?

Der Einzelne hat nicht die Chance, aus dieser Klemme alleine heraus zu kommen. Unternehmen als Ganzes müssen sich die Karten legen mit den Fragen: Wo bleiben wir hinter unseren Möglichkeiten und Potenzialen zurück? Womit behindern wir uns intern?

Denn überzeugende Lösungsansätze verbinden Veränderungen an der strukturellen Hardware der Organisation mit der Arbeit an Haltung und Werten im Unternehmen. Funktionierende Veränderung kann weder an eine Change-Projektgruppe, noch an das Management alleine delegiert werden. Es braucht viele Diskurse und viele mutige Führungsentscheidungen, damit Unternehmen das einschränkende Korsett tayloristischer Organisationsvorstellungen und der daraus abgeleiteten Unternehmensstrukturen und Managementprozesse ablegen können. Es gibt alternative und erfolgreiche Pionierunternehmen, die ganz andere Wege gehen und nicht an den scheinbar unumgänglichen internen Erstickungsphänomenen leiden.

Was machen sie anders?
Die Netzwerkorganisation löst die Pyramide ab

Womit ersetzen die erfolgreichen Pioniere, die den Weg zu einer deregulierten, flexiblen Zukunftsorganisation schon weiter vorangegangen sind, all die zu kleinteiligen Prozesshandbücher, die zu vielen Instrumente, die zu vielen Daten, die heute in Unternehmen generiert und verwaltet werden?

Wir knüpfen heute an die Arbeit von Niels Pfläging an, der schon seit vielen Jahren konsequent Pionierorganisationen beforscht, die sich von der guten alten Pyramide als Organisationsmodell verabschiedet haben.

So verschieden die Umsetzungen in den Pionier-Organisationen sein mögen, das Beta-Organisationsmodell, wie Niels Pfläging moderne Zukunftsorganisationen für das 21. Jahrhundert nennt, ist dasselbe: dezentrale Einheiten, verknüpft in einer Netzwerkorganisation, schaffen Wert für den Kunden.

In diesen Netzwerkorganisationen wird die Führungslogik der Pyramide – nämlich Weisung und Kontrolle – auch wenn sie noch so „flach“ und partnerschaftlich gestaltet sein mag, ersetzt durch alternative Wirkungsprinzipien

  • Vertrauen, Verantwortung und Selbstorganisation ersetzen Weisung und Kontrolle
    Das setzt eine Unternehmung voraus, die den verantwortlichen Teams sowohl maximale Verantwortung überträgt als auch die dafür nötigen Freiräume schafft. Wenn die Grundhaltung Vertrauen und Selbst-Verantwortung die Kommunikation im Unternehmen prägt, erübrigen sich viele Bürokratien, die aus einer Haltung des Misstrauens entstehen. Voraussetzung dazu ist zum Beispiel die Bereitschaft, allen MitarbeiterInnen Unternehmensdaten transparent zu machen, die sie brauchen, um unternehmerische Verantwortung leben zu können. Wie sich das eigene Handeln auf betriebswirtschaftlicher Ebene auswirkt, muss für jedeN MitarbeiterIn transparent sein.

  • Kooperation und Integration statt Solistenleistung und interne Konkurrenz
    Teamfähigkeit als Anforderung in modernen Unternehmen ist nicht wirklich brandneu. Aber in der Konsequenz, wie diese Fähigkeit von MitarbeiterInnen und Führungskräften in Zukunftsunternehmen gefordert wird, ist es doch anders, als wir es kennen. Selbstorganisierte Teams müssen mit sich und ihren internen Konflikten zurechtkommen. Projektteams muss es gelingen, die Stakeholder-Interessen der verschiedenen Systemumwelten, in denen sie agieren, in ihre Projektarbeit zu integrieren.Und die (wenigen) Führungskräfte, die solche Zukunftsunternehmen noch brauchen, werden ihrerseits gemessen daran, ob sie sich in produktiver Art und Weise zurück halten können und dort – als Integrator und Coach – echte Unterstützung leisten, wo Mitarbeiter, Teams und Projekte – zum Beispiel bei Konfliktlösungen – an ihre Grenzen kommen. Führungsinstrumente, die dieser Gemeinschaftsorientierung zu wider laufen, sind in Netzwerkorganisationen abgeschafft und es wird sorgfältig darauf geachtet, dass nicht die interne, heimliche Konkurrenz gezüchtet wird, sondern sportlicher Wettbewerb mit den Mitbewerbern im Markt stattfindet.

  • Sinn, Identifikation und Selbstbestimmung motivieren nachhaltiger als Boni-Systeme
    Eigentlich hat die Motivationsforschung schon lange mit dem Mythos gebrochen, dass Geld nachhaltig motivieren kann. Geld ist zwar nett, aber kann – wie die Forschung schon lange zeigt – die Bindekraft intrinsischer Motivation nicht ersetzen. Im schlimmsten Fall verkehren sich Bonussysteme in ihr Gegenteil und verführen Mitarbeiter zu Ego optimierendem Verhalten oder „verwöhnen“ MitarbeiterInnen, wie Sprenger den dysfunktionalen Effekt von Boni-Systemen nennt. Was motiviert stattdessen nachhaltig? Menschen, die ihre Arbeit und ihr Arbeitsumfeld selbst gestalten können und sich mit dem Unternehmen identifizieren, sind die zufriedensten MitarbeiterInnen. Das macht auch vor der Königsdisziplin: Strategie als Führungsaufgabe nicht halt. In Netzwerkorganisationen machen sich alle Teams und alle Teammitglieder in (systematisierten) Kommunikationsprozessen Gedanken über das Dreieck: Marktentwicklung – Kundenbedürfnisse Innovation. Die aus diesen Reflexionen entwickelten Aktionspläne ersetzen die Unternehmensstrategie, die in Pyramidenorganisationen von wenigen Top-ManagerInnen (und/oder ihren Stabsstellen und/oder externen BeraterInnen) in der Zentrale – weit entfernt vom Kunden – niedergeschrieben werden.

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